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„Der Mercedes SL 55 AMG der Baureihe R230 ist eine Naturgewalt“
Mercedes-Benz SL 55 AMG (R230): Zukunfts-Klassiker, Fahrbericht Der Mercedes SL 55 AMG der Baureihe R230 ist eine Naturgewalt Als der Mercedes SL der Baureihe R230 2001 den kantigen Vorgänger ablöste, haderten manche mit dem rundlichen Klappdachcabrio. Doch die AMG-Version räumte nachhaltig mit allen Bedenken auf. Auch an Sportlern nagt manchmal der Zahn der Zeit. Muhammad Ali beispielsweise tat sich am Ende seiner Laufbahn schwer und trat nach zwanzig Jahren Profiboxen mit einer traurigen Niederlage gegen Trevor Berbick ab. Doch der Mercedes SL 55 AMG hängt auch nach 16 Jahren nicht in den Seilen. Dieser SL AMG 55 kennt mit seinen 380 kW/517 PS bis heute kaum Gegner und ist schlicht eine Naturgewalt. Seine Kraftquelle trägt den Namen M113 E55 ML und ist ein eigens entwickelter V8-Dreiventil-Motor mit Kompressoraufladung und 5439 Kubikzentimeter Hubraum. Seine Premiere feierte das Aggregat als Antriebsquelle im Mercedes SL AMG 55 bereits 2001, als der SL R230 den Vorgänger R 129 ablöste. Zuerst befeuerte das Triebwerk den Edelroadster mit nominell 350 kW/476 PS, doch die AMG-Aficionados konnten sich bald über eine satte Leistungsstreuung nach oben freuen. Ein neues Steuergerät, ein optimiertes Ansaugsystem und eine opulent dimensionierte Drosselklappe trieben die Leistung bis jenseits der 500 PS. Das Active-Body-Control-Fahrwerk hält den SL in der Spur Das Active-Body-Control-Fahrwerk des Mercedes SL 55 AMG minimiert effektiv jegliche Wankneigung. Ausgestattet ist der Mercedes SL mit allen technischen Feinheiten. Das Active-Body-Control-Fahrwerk besteht aus einer Kombination aus Hydraulik-Dämpfern und Stahlfedern und minimiert das Wanken in Kurven und Bremsnicken deutlich. Das half auch dem Haustuner: „AMG hat das Glück gehabt, von uns eine gute Basis zu bekommen“, sagt SL-Ingenieur Frank Knothe. Beim SL 55 AMG haben die Entwickler die Abstimmung noch einmal verfeinert und die Wankneigung weiter verringert. Ergänzt wird das Fahrwerk durch die elektrohydraulische Bremse Sensoric Brake Control (SBC), die für jedes Rad den passenden Bremsdruck bereitstellt, so den Anhalteweg verkürzt und die Stabilität beim Verzögern verbessert. Zu Beginn hatte dieses System keinen guten Ruf, doch die Mercedes-Ingenieure trieben ihm seine Zicken aus. An der Vorderachse sorgen beim SL 55 AMG 360 Millimeter große Bremsen mit Achtkolbensätteln für Verzögerung. Auf Wunsch war der SL 55 AMG 300 km/h schnell. Auf Wunsch beschleunigte der knapp 5,5 Liter große V8 den komfortablen SL bis auf 300 km/h. Bei dieser Kraft und einem Sprintvermögen von 0 auf 100 km/h in 4,5 Sekunden ist es fast schade, dass der AMG-Mercedes bei 250 km/h eingebremst wird. Doch man konnte dem elektronischen Anker seinerzeit entfliehen, indem man das Performance Package orderte. Dann war das Fahrwerk noch straffer abgestimmt, die Bremsscheiben 380 Millimeter groß und 19-Zoll-Räder sorgten für den nötigen Grip. Apropos Traktion: Damit das Heck nicht bei jeder schnellen Kurve den Fahrer überholt, half ein Differenzial mit einer Sperrwirkung von 30 Prozent, den Zweisitzer in der Spur zu halten. So zusätzlich ausgerüstet durfte der Mercedes SL 55 AMG sogar bis 300 km/h schnell stürmen. Größere Lufteinlässe in der Frontschürze und ein zusätzlicher Kühler stellten sicher, dass der Motor immer im richtigen Temperaturfenster blieb. Der Fahrbahnzustand ist jederzeit präsent. Bequemes Gestühl: Trotzdem wissen Fahrer und Beifahrer immer exakt über den Fahrbahnzustand Bescheid. Dass der Mercedes SL der Baureihe R230 mit seinen technischen Kniffen die Krone der damaligen deutschen Automobil-Ingenieurskunst war, merkt man heute schnell. Aber auch, dass der AMG sich ganz anders verhält als der SL 500, der gegen diesen Sportler fast wie eine Sänfte wirkt. Um die fast zwei Tonnen Lebendgewicht agil um die Ecken zu wuchten und die Kraft des aufgeladenen Achtzylinders einigermaßen auf den Asphalt zu bringen, lässt das Fahrwerk den Fahrer kompromisslos am Fahrbahnzustand teilhaben. Im AMG verrichtet eine Fünfgangautomatik ihr Werk, bei der das Innenleben auf den AMG-spezifischen Einsatzzweck optimiert wurde. Gut, denn sie muss mit der unbändigen Kraft des Motors und dem knackigen Drehmoment von 720 Newtonmetern klarkommen. Der SL zeigt sich weniger kopflastig als gedacht Das überschaubare Gewicht des Motors trägt dazu bei, dass der SL erfreulich wenig kopflastig fährt. Sobald es zur Sache geht, schlägt sich der Mercedes SL 55 AMG beachtlich. Die Lenkung ist direkter als beim 500er und das Fahrwerk samt dem erwähnten Sperrdifferenzial, beide verrichten ihre Arbeit gut. Der Achtzylinder-Motor glänzt nicht nur mit brachialer Leistung, er ist einer der leichtesten Motoren mit dieser Zylinder-Anzahl seiner Zeit. Dadurch ist die Kopflastigkeit bei Weitem nicht so ausgeprägt wie beim Zwölfzylinder SL 65 AMG. Kein Wunder also, dass sich der Mercedes SL 55 AMG beherzt einlenken lässt, mit viel Karacho um die Ecken schwingt, aber dennoch sein stattliches Lebendgewicht nicht ganz verhehlen kann. Der mächtige Motor klingt nicht nur satt. Er prügelt derart vehement auf die Hinterräder ein, dass man selbst bei trockener Straße gefühlvoll mit dem Gaspedal umgehen sollte. Ganz zu schweigen von Regen. Aber dann verwandelt sich dieser SL einfach innerhalb von 16 Sekunden in ein schmuckes Coupé. Von Wolfgang Gomoll